"Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen."
Matth. 5,9
Ein Kanzler erst im zweiten Wahlgang gewählt. Ein historisches Ereignis, das es noch nie gab. Unsere Demokratie gefährdet, wie nie mehr nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Eine als gesichert rechtsradikal eingestufte Partei wartet auf die Gelegenheit, die Mehrheit im Land zu erreichen. Was das für unser Land bedeuten würde, können wir gerade an den USA ablesen.
Wir brauchen aber eine Aufbruchstimmung für unser Land, um dem braunen Terror, der sich gerade in rechten Jugendorganisationen organisiert, den Boden unter den Füßen zu entziehen. Wir brauchen einen politischen Diskurs der gesellschaftlichen Mitte, der danach fragt, was dem Frieden dient. Dem sozialen Frieden in unserem Land, dem globalen Frieden, der Migration durch Gerechtigkeit und Klimaschutz vorbeugt und einen Frieden, der nicht auf militärische Stärke, sondern auf Völkerverständigung setzt. Die Ziele unseres Grundgesetzes, das sich der Menschenwürde und dem Frieden verpflichtet weiß, sollten der Kompass unseres demokratischen Diskurses bleiben.
»Bis 2029 müssen wir schnell kriegstüchtig und einsatzbereit werden. Allen Soldaten ist klar, dass wir kämpfen können und gewinnen wollen, weil wir gewinnen müssen.« So zitiert die Berliner Zeitung den Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer.
Sätze, die wir so vor dem Ukraine-Krieg nicht kannten.
Es hat vieles verändert.
Was ist noch richtig, was ist falsch?
Die mediale Berichterstattung schwört uns auf die Kriegstüchtigkeit ein.
Mahnende Worte zum Frieden werden von denen vermisst, die auf Verhandlungen und Friedensbemühungen setzen und der Logik des Krieges widersprechen.
Aber auch bei denen, die immer dem Primat des Friedens gefolgt sind, sind Zweifel aufgekommen mit dem völkerrechtswidrigen Überfalls Russlands auf die Ukraine.
Die mahnende Erkenntnis der Kirchen nach den beiden Weltkriegen »Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!« bleibt ferne Vision und wird angesichts der großen Herausforderung fast zur Utopie.
Das Friedenswort der Evangelischen Kirche im Rheinland aus dem Jahr 2021 erinnert an die unheilvolle Geschichte der Kriege und wendet sie zur Mahnung für Verantwortung für den Frieden:
»Mit dem Leitbild des gerechten Friedens verbindet sich der Auftrag, Krieg und Gewalt zu überwinden und den Weg zum Ausgleich und zur Versöhnung bewusst einzuüben.«
Was ist das Leitbild vom gerechten Frieden heute noch wert, und wie können wir noch Kirche auf dem Weg des gerechten Friedens sein?
Die Verunsicherung ist groß.
Die Fragen sind nicht weniger geworden.
Und die Antworten scheinen klar und dogmatisch in diesen Zeiten.
Aber eine Debatte, eine Diskussion findet nicht wirklich darüber statt. Gründe dafür, dass eine Debatte schwierig ist, gibt es genug:
- weil in einer entfesselten Konflikt-Situation, mitten im Krieg, sich nicht gut über die reale Möglichkeit des Friedens sprechen lässt
- weil wir in einem ethischen Dilemma stecken, das sich nicht lösen lässt,
- weil sich die öffentliche Debatte scheibchenweise hineinziehen lässt in militärische Details von Waffengattungen und Erziehung zur Kriegsfähigkeit und die weitergehende Perspektive verliert, was vielleicht noch zu sagen und einzuüben wäre zu Frieden und Friedenserziehung,
- weil wir insgesamt - ja auch in anderen wichtigen Fragen wie der ökologischen Verantwortung oder der Migration - eine fehlgelaufene Debatten-Kultur in Deutschland haben, die keine differenzierte Äußerung mehr möglich macht. Meinung schlägt Fakten bei Illgner, Lanz und Maischberger,
- weil wir als Kirche, als die größte gesellschaftliche Organisation, viel zu sehr mit uns selber beschäftigt sind, und wir als gleichzeitig Kirche kaum noch gehört werden in einer entkirchlichten und religiös diffusen Gesellschaft.
Bei aller Verschiedenheit verbindet uns aber ein Gespür dafür, dass ein Schweigen nicht guttut.
Zu den grundlegenden Fragen, die alle Menschen angehen: bei Krieg und Frieden, der Verantwortung für das Klima und der sozialen Daseinsvorsorge, müssen wir in einer Demokratie diskutieren, einander zuhören und gemeinsame Wege finden, die allen gerecht werden. Populismus löst keine Probleme.
Als Christinnen und Christen ist uns vorgegeben, die Friedensbotschaft des Evangeliums hineinzutragen in diese unfriedliche Welt und uns der Spannung zu stellen, die dann daraus entsteht.
Wir können uns nicht ausruhen auf dem einmal Gesagten, mit ziemlicher Sicherheit werden wir es neu und anders sagen müssen – und vielleicht hat sich ja längst auch unsere eigene Sicht verändert. Aber da hilft keine Ausrede: Wir können uns nicht verstecken im Schweigen, das lässt unser Auftrag nicht zu.
Darum finden in diesem Jahr sechs Friedensgespräche in verschiedenen Gemeinden des Kirchenkreises statt. Wir wollen das Miteinanderreden wieder einüben.
Alle Meinungen sollen Raum haben.
Wir wollen einander zuhören.
Die Verunsicherung ist bei allen groß.
An denn wir wollen herausfinden, was der Ist-Zustand ist, also was die Menschen, die zu uns kommen, über die aktuelle Friedenspolitik denken. Und wir wollen wissen, ob es am Ende der Debatte, wirklich erst am Ende der sechsten Veranstaltung, vielleicht eine gemeinsame Richtung, eine gemeinsame Perspektive geben kann. Ob wir eventuell sogar eine gemeinsame Position erarbeiten und über die nächste Kreissynode im Herbst in die kirchliche Friedensdebatte einbringen können.
Das ist unsere Möglichkeit, mit dem Gedenken an 80 Jahre Kriegsende konstruktiv umzugehen. Damit es nicht bei feierlichen Worten bleibt. Damit die Hoffnung auf Frieden neue Nahrung bekommt und wir unseren kleinen Beitrag dazu leisten.
Die Situation ist aktuell verfahren. Aber Aufgeben, die Hände in den Schoß legen und verstummen ist keine Option für Christinnen und Christen.
Pfarrer Jens Sannig, Superintendent des Kirchenkreises Jülich.
Die Termine und Orte der Friedensgespräche finden Sie hier
Und hier lesen Sie einen Artikel unseres ehemaligen Friedensbeauftragten, Pfarrer i.R. Klaus Kenke aus Düren.