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Angedacht – April 2024

Aufstehen gegen das Unrecht
Von Pfarrerin Karin Heucher, Evangelische Gemeinde zu Düren

! Wichtiger Hinweis: Wir weisen darauf hin, dass im nachfolgenden Text sensible Inhalte erkennbar sind. Bestimmte Schilderungen können verletzend, überfordernd oder triggernd im Sinne einer Retraumatisierung sein!

Seit am 25. Januar die ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche veröffentlicht wurde, sind allein in unserer Landeskirche mindestens elf bisher nicht bekannte Täter gemeldet worden. Mir zeigt das, wie wichtig es ist, dass wir über sexualisierte Gewalt sprechen und uns ansprechbar machen. Die biblische Geschichte von Tamar habe ich dabei neu entdeckt. (2. Sam. 13).

Absalom, ein Sohn Davids, hatte eine schöne Schwester mit Namen Tamar. Amnon, ein Halbbruder, verliebt sich in sie. Weil ihm klar ist, dass er Tamar als seine Schwester nicht haben kann, ist er deprimiert. Ein Freund Amnons fragt, was ihn so schlechter Laune sein lässt. Er erinnert Amnon an seine Machtposition. „Du bist doch ein Königssohn. Du hast doch Spielräume, so viel wie du willst.“  Da sagt Amnon ihm, dass er Tamar begehrt.

Der Freund hat sofort einen Rat. „Stell dich einfach krank und leg dich ins Bett. Dein Vater wird bestimmt nach dir sehen und dann bittest du ihn, dass Tamar zu dir kommt, bei dir Essen zubereitet und Dir das Essen anreicht.“  Das ist der Plan. Amnon macht es genau so. König David kommt und gewährt Amnon seine Bitte.

Die Bibel erzählt, wie Tamar ahnungslos zu dem kranken Bruder kommt, vor seinen Augen den Brotteig knetet, formt und backt. Und mit dem Wissen der Lesenden können wir schon erahnen, wie er sie ansieht, wie Tamar die Situation gar nicht erfassen kann in ihrer Arglosigkeit – Amnon ist doch ein ihr bekannter, vertrauter Mann! Und wir spüren, wie von Verliebtsein und Liebe gar nichts da ist, sondern nur das Haben-wollen, das Kalkül, die Berechnung ihrer Schutzlosigkeit, das Bewusstsein der eigenen Position und das Ausspielen von Macht.

Als das Brot fertig ist, nimmt Amnon es nicht.  Stattdessen schickt er alle raus. Tamar soll das Essen in sein Zimmer bringen. Sie tut das.  Dann verlangt er von ihr, mit ihm zu schlafen.

Tamar versucht auf verschiedene Weise, ihn von der Gewalt an ihr abzuhalten. Sie erinnert ihn daran, dass das Unrecht ist.

„So tut man nicht in Israel. Begeh nicht diese Untat.“

Aber auch: „wohin soll ich mit meiner Schande?“

„Und du, wie wirst du dastehen – wie ein Verbrecher!“

Und schließlich hat sie noch einen letzten Vorschlag, um das Schlimmste zu verhindern; denn Amnon ist für nichts zugänglich: „Rede doch mit dem König, er wird einer Eheschließung bestimmt zustimmen“.    

Aber Amnon geht es nur um das, was er will. Er vergewaltigt Tamar und - anschließend hasst er sie.  Die, die Zeugnis geben kann von seiner Gewalttat, ist ihm auf einmal zuwider. Er jagt sie fort.

„Das ist ein noch größeres Unrecht als das von vorhin, wenn du mich jetzt wegschickst“, sagt sie ihm. Noch hat sie Worte. Aber er lässt sie durch einen Diener hinausführen.

Wie soll Tamar über diese Gewalt an ihr sprechen? Begangen durch einen, der Macht und Ansehen hatte. Mit Worten kann sie das nicht sagen, aber sie zeigt es. Das ist oft die einzige Möglichkeit für Betroffene in ihrer Sprachlosigkeit. Tamar legt Staub auf ihren Kopf, zerreißt das langärmelige Kleid, das ein Zeichen ihrer Jungfräulichkeit war; und läuft laut schreiend davon.

Tamars Bruder Absalom versteht das Zeichen sofort und sagt zu ihr: „War dein Bruder Amnon bei dir? Nun, meine Schwester, sei still! Er ist ja dein Bruder. Nimm dir die Sache nicht so zu Herzen.“ Vertuschen, klein reden, beschwichtigen!

So blieb Tamar völlig zerstört im Hause Absaloms wohnen.

Von König David wird erzählt, dass er von dem Vorfall hörte und sehr zornig auf Amnon war. Das war‘s. Absalom sprach mit Amnon kein Wort mehr.

Die Geschichte von Tamar ist meisterhaft erzählt. Sie veranschaulicht klarsichtig, wie Täter vorgehen, wie sie ihre Tat planen, wie sie ganz gezielt Situationen schaffen, in denen sexualisierte Gewalt ermöglicht wird. Und dann: wie das Umfeld, wenn es dieser Gewalt gewahr wird, reagiert: nämlich zugunsten des Täters. Eine furchtbare Situation für die Betroffenen!

Diese Geschichte ist über 3000 Jahren alt. Ich bin beeindruckt davon, dass die Bibel sie so festgehalten hat, und tief bewegt davon, dass sich seit dem nichts geändert hat; es kein oder kaum ein Bewusstsein für das doppelte Unrecht gibt: die Tat selbst und die Relativierung der Tat durch das Umfeld.

So wurden auch Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Kirche im Stich gelassen, wurden beschwichtigt, blieben ungehört und zerstört zurück. Ihr Leid wurde nicht anerkannt. Von ihnen wurde und wird immer wieder verlangt, dass sie doch vergeben müssen. „Er ist doch dein Bruder….Sei still!“  „Wir sind doch Brüder und Schwestern in der Kirche…. Stör nicht die Einmütigkeit.“

Die ForuM-Studie legt die bittere Wahrheit offen, dass es in der Kirche neben dem Unrecht der  sexualisierten Gewalt durch Haupt- und Ehrenamtliche auch das andere Unrecht gegeben hat: das Ignorieren der Gewalt, das Fortjagen / Ausgrenzen der Betroffenen und das Schützen der Täter.

Die Anfänge unseres Glaubens sind ganz andere: nach einem gemeinsamen Essen verraten und dann Menschenhänden ausgeliefert stirbt Jesus mit einem Schrei am Kreuz. Sein Verstummen und seine Grablegung sind nicht das Letzte.

Die Bibel erzählt, dass Gott genau da in der Tiefe bei ihm war und ihm an einem neuen Tag neues Leben geschenkt hat. Gott selbst steht auf gegen das Unrecht, gegen das Auftrumpfen der Stärkeren und gegen den Tod. Das feiern wir an Ostern mit der Auferstehung Jesu. Ostern – das Leben siegt. Hoffnung bricht auf für die, die das Recht suchen, die Menschlichkeit, das Leben. Wir sind als Gemeinde und als einzelne Christ:innen beauftragt, mitzuwirken, dass Unrecht aufgedeckt und verhindert wird und Betroffene Erfahrungen von Trost und Liebe machen, die helfen, Angst und Schmerz zu begrenzen und hoffentlich irgendwann zu überwinden. Gott schenke uns seine Kraft, aufzustehen für das Leben. Frohe Ostern!

 

 

 

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